Ohne Rüstung Leben e.V.
Frieden politisch entwickeln

Nachrichten - 4. April 2022

Neue Studie: EU-Mittel fließen indirekt in Waffenexporte, nukleare Aufrüstung und Korruption

Öl ins Feuer - Wie die EU ein neues Wettrüsten anheizt

Eine aktuelle Studie zeigt: Von den bisherigen EU-Rüstungsprogrammen profitierten vor allem einige wenige Konzerne. Zudem erhärtet sich der Verdacht, dass die EU-Mittel auf Umwegen auch in umstrittene Waffenexporte, nukleare Aufrüstung und Korruption fließen.

 

In der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten mehren sich Stimmen, die eine weitere Aufrüstung fordern. Im jüngst vorgestellten "Strategischen Kompass", einem Grundsatzdokument zur Sicherheitspolitik der EU, ist von einem "Quantensprung" im Bereich Sicherheit und Verteidigung die Rede. Laut Josep Borrell, dem EU-Außenbeauftragten müsse die EU zur "hard power" werden.

Doch die Militarisierung der EU ist kein neues Phänomen. Um die aktuellen Forderungen einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf die Ergebnisse und Auswirkungen bisheriger EU-Rüstungsprogramme. Das European Network Against the Arms Trade (ENAAT) und das Transnational Institute (TNI) haben hierzu in einer aktuellen Studie den Europäischen Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF, 2021 - 2027) sowie seine Vorläuferprogramme PADR (2017 - 2019) und EDIDP (2019 - 2020) kritisch analysiert.

 

EU-Rüstungsprogramme im Vergleich. Grafik: ENAAT / TNI

Die EU-Rüstungsprogramme im Vergleich [zum Vergrößern klicken]

 

Besorgniserregende Entwicklungen

Die genannten Programme dienen bzw. dienten zur Finanzierung militärischer Forschung und der Entwicklung von Militärgütern und -technologie in der EU. Der Europäische Verteidigungsfonds verfügt über ein nie dagewesenes Budget von 8 Milliarden Euro. Die Studie betont, dass es noch zu früh sei, die Folgen des bis 2027 laufenden EDF zu analysieren. Doch sie stellt besorgniserregende Entwicklungen im Hinblick auf sein Entstehen und mit Blick auf die Vorläuferprogramme fest.

So beruhte der Vorschlag der EU-Kommission, der zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds führte, auf einem von der Expertengruppe für Verteidigungsforschung (Group of Personalities on Defence Research) vorgelegten Bericht. Ganze Abschnitte wurden laut der Studie wortwörtlich aus dem Bericht der Expertengruppe kopiert und in den Kommissionsvorschlag für den Verteidigungsfonds eingefügt.


Beratende Unternehmen profitieren massiv 

Pikant daran: Die 2015 von der Europäischen Kommission eingesetzte Expertengruppe für Verteidigungsforschung hat 16 Mitglieder. Neun davon vertreten die Rüstungsunternehmen Airbus, BAE Systems, Indra, Leonardo, MBDA und Saab, die Rüstungsforschungsinstitute Fraunhofer und TNO sowie die Rüstungs-Lobbyorganisation "AeroSpace and Defence Industries Association of Europe".

In der Studie heißt es dazu: "Die Unternehmen und Organisationen, die von der Expertengruppe repräsentiert werden, profitierten massiv von den Budgets, die sie selbst mitgestalten konnten. Konkret erhielten die Mitglieder der Expertengruppe bisher über 86 Mio. EUR bzw. 30,7 % der zugewiesenen Gelder [gemeint sind die Programme PADR und EDIDP, d. Red]. Da die gesamte Verteilung aber noch nicht veröffentlicht wurde, ist es wahrscheinlich, dass diese Akteure sogar noch mehr Geld erhalten haben."

 

Wie die Expertengruppe für Verteidigungsforschung von PADR und EDIDP profitierte. Grafik: ENAAT / TNI

Wie die Expertengruppe für Verteidigungsforschung von PADR und EDIDP profitierte [zum Vergrößern klicken]

 

Umstrittene Waffenexporte, nukleare Aufrüstung und Korruption

In Hinblick auf die Vorläuferprogramme PADR und EDIDP stellt die Studie fest, dass die EU wissentlich Rüstungsunternehmen subventioniert, die in höchst fragwürdige Machenschaften verwickelt sind:

"Die Achtung von Menschenrechtsstandards und Rechtsstaatlichkeit - zwei der zentralen Werte der EU – werden von ihnen nicht gewährleistet. … Die sieben größten Profiteure dieser EU-Mittel sind an höchst umstrittenen Waffenexporten in Länder beteiligt, die sich in bewaffneten Konflikten befinden oder in denen autoritäre Regime herrschen und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind."

"Durch die finanzielle Unterstützung dieser Unternehmen finanziert die EU indirekt die nukleare Aufrüstung, da viele der Empfänger dieser Gelder auch an der Entwicklung, Herstellung oder Wartung von Atomwaffen beteiligt sind. Gegen fünf der acht größten Begünstigten sind in den letzten Jahren erhebliche Korruptionsvorwürfe erhoben worden. Diese fünf sind Leonardo, Safran, Thales, Airbus und Saab."

Keine parlamentarische Kontrolle

Die Programme PADR und EDIDP zeigten somit bereits sehr besorgniserregende Folgen. Das Budget des Europäischen Verteidigungsfonds ist jedoch mehr als 13-mal so hoch wie das seiner Vorläuferprogramme. Die Gefahr, dass diese EU-Mittel ebenfalls umstrittene Waffenexporte, nukleare Aufrüstung und Korruption fördern, ist also ungleich größer.

Zumal das Europäische Parlament keine Kontrollmöglichkeiten darüber hat, welche Rüstungsprojekte mit den EU-Mitteln finanziert werden. In einem jüngst erschienen Artikel kommentiert das Journalistenteam Investigate Europe das bisherige Vorgehen: "Abseits jeder parlamentarischen Kontrolle verteilen Lobbyisten und Regierungsbeamte die Gelder einfach nur unter den Interessenten, ein sinnvoller Plan ist nicht erkennbar".


Grenzen zwischen EU und Konzernen verschwimmen

Dabei zeigen verschiedene Beispiele, dass die Grenzen zwischen EU-Agenturen und Rüstungsindustrie fließend sind. Etwa der Fall von Jorge Domecq: Laut Investigate Europe wechselte der ehemalige Leiter der European Defence Agency nur sieben Monate nach seinem Ausscheiden aus der EU-Agentur auf einen Posten bei Airbus Defence and Space in Spanien. Die EU-Kommission billigte den Wechsel und verfügte nur, dass Domecq einige Monate lang keinen Kontakt mit seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen haben sollte.

Von den bisherigen Rüstungsprojekten der EU scheint somit in erster Linie die Rüstungsindustrie profitiert zu haben. Ob und wie sie der Sicherheit aller Menschen in der EU und ihren Nachbarstaaten dienen, bleibt mehr als fraglich.

 

‹ alle aktuellen Nachrichten

‹ zurück

ENAAT


Das Europäische Netzwerk gegen Waffenhandel (ENAAT) ist ein informelles Netzwerk von Friedensgruppen, die durch Forschung, Publikationen, Lobbyarbeit und öffentlichkeitswirksame Kampagnen zusammenarbeiten.

Ohne Rüstung Leben arbeitet eng mit dem ENAAT zusammen und ist über die "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" Mitglied des internationalen Netzwerks.

enaat.org

Kontakt

Ohne Rüstung Leben
Arndtstraße 31
70197 Stuttgart

Telefon 0711 608396
Telefax 0711 608357

E-Mail orl[at]gaia.de

Spendenkonto
IBAN  DE96 5206 0410 0000 4165 41
BIC  GENODEF1EK1

Evangelische Bank