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Nachrichten - 3. März 2023

Antje Vollmer: "Den Hass und den Krieg gründlich verlernen"

Antje Vollmer
Foto: Heinrich-Böll-Stiftung, flic.kr/p/e6k2iA, CC BY-SA 2.0 [Lizenz]

Es ist ein berührendes Essay, das Antje Vollmer vor einigen Tagen in der "Berliner Zeitung" veröffentlichte. Die Theologin, Grünen-Politikerin und ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages ist schwer erkrankt. Ihr Blick auf den Ukraine-Krieg kann gelesen werden als politisches Vermächtnis einer Pazifistin. Und als einer der wichtigsten Beiträge zur aktuellen Debatte.


Schon 1983 saß Antje Vollmer für die Grünen in der ersten Bundestagsfraktion. Den Ukraine-Krieg und die politische Haltung in Deutschland sieht sie auch als ihre ganz persönliche Niederlage an. Gerade ihre Partei, so schreibt Vollmer, hätte die Schlüssel zu einer neuen Ordnung in der Hand gehabt. Was die heutigen Grünen dazu verleite, all das aufzugeben und ihre Wurzeln verächtlich zu machen, ist Vollmer ein Rätsel.

In ihrem Essay blickt die Politikerin zurück auf die letzten 30 Jahre europäischer Geschichte - und sie stellt sich Fragen, die weit über die vorherrschenden Debatten zum Ukraine-Krieg hinausgehen. Warum ist es nicht gelungen, Europa nach der historischen Chance von 1989 zum "Zentrum einer friedlichen Vision für den bedrohten Planeten" zu machen? Und was ist für die Zukunft nötig? Damit bringt sie eine sehr wichtige Perspektive in die Diskussion ein.


Nach 1989 versäumt, eine europäische Friedensordnung zu schaffen

Dass in Europa wieder eine Konfrontation, ja ein Krieg zwischen Ost und West herrscht, führt Vollmer auf ein historisches Versäumnis zurück: In den frühen 1990er-Jahren sei keine neue europäische Friedensordnung eingeführt worden. Es wäre die dringende "Aufgabe der Stunde" gewesen, eine solche zu schaffen. Doch "die visionäre Phantasie Europas und des Westens in der Wendezeit reichte nicht aus" für eine stabile Friedensordnung, die allen Ländern der ehemaligen Sowjetuntion Sicherheit und Zukunftshoffnungen geboten hätte.

Stattdessen, so klagt Vollmer an, sei der Zusammenbruch der Sowjetunion nachträglich zu einem "triumphalen Sieg" des Westens erklärt worden. Der einzigartige Verdienst der sowjetischen Führung unter Michail Gorbatschow, die im Augenblick des Freiheitsstrebens der Völker des Ostblocks auf Gewalt verzichtet habe, wurde negiert und zu einem selbstverständlichen Geschenk der Geschichte erklärt. Im eigenen Land habe dies Gorbatschow die bittere Enttäuschung vieler seiner Bürger eingebracht.

 
"Kooperation, Verständigung und Versöhnung gelten als schwach"

Eine Frage müsse nun besonders dringend zwischen Ost und West verhandelt werden: Was bedeutet es eigentlich, eine europäische Nation zu sein? Wenn es in den Medien heiße, die Ukraine kämpfe für die Werte des Westens, bedeute dies auch: "Wer seine Existenz mit blutigen Opfern und Waffen verteidigt, gilt als Bollwerk für die europäischen Ideale der Freiheit ... Wer aber den Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung sucht, gilt als schwach".

Bislang habe Europa nach jedem großen Krieg hoffen können, der machtpolitische Irrweg sei nun durch Erfahrung widerlegt. Doch meist sei es den euopäischen Staaten nicht gelungen, die Kunst der Selbstbegrenzung, Fairness und friedlichen Nachbarschaft zu lernen. Daher ruft Vollmer dazu auf, den Weg der Dominanz und Konfrontation zu verlassen und nicht länger immer neue "Achsen des Bösen" und "Schurkenstaaten" auszumachen.


"Wir haben nur diese eine Zukunftsoption"

Die schwer erkrankte Antje Vollmer erinnert an ihre großen Vorbilder: Gandhi, Mandela, King. "Ihnen wurde nichts geschenkt. Und das gilt auch heute für uns letzte Pazifisten", schreibt sie - und es klingen Bitterkeit und Hoffnung zugleich aus diesen Worten. Doch ihr Fazit ist eindeutig: "Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption."

Hier können Sie das Essay von Antje Vollmer in der "Berliner Zeitung" lesen


Nachtrag: Am 15. März 2023 ist Antje Vollmer im Kreise ihrer Familie nach langer schwerer Krankheit friedlich gestorben. Das teilte ihr Sohn der Deutschen Presseagentur mit. Wir sind in Gedanken bei ihrer Familie und dankbar für alles, was die unbeugsame Pazifistin erreicht und angestoßen hat.

 

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