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Interview - 21. Juli 2021

Waffenexporte nach Mexiko: Interview mit der Anwältin Sofía de Robina

Sofía de Robina bei ihrem Besuch in Stuttgart im September 2018
Sofía de Robina bei ihrem Besuch in Stuttgart im September 2018. Foto: Jens Volle

Beim Angriff mexikanischer Polizeikräfte auf Studenten im Jahr 2014 kamen auch G 36-Gewehre des Herstellers Heckler & Koch zum Einsatz. Die Waffen wurden illegal dorthin geliefert, wie der Bundesgerichtshof im März 2021 bestätigte. Über die Folgen des Urteils sprachen wir mit Sofía de Robina, Anwältin bei der mexikanischen Menschenrechtsorganisation "Centro Prodh". 

 

Deine Organisation begleitet die Familien der Betroffenen im Fall Ayotzinapa. Was hat dich zur Menschenrechtsarbeit bewegt?

Das Menschenrechtszentrum Miguel Agustín Pro Juárez (Centro Prodh) ist eine zivilgesellschaftliche Organisation. Es hat die rechtliche Vertretung der Familien der 43 Studenten der Fachschule Raúl Isidro Burgos in Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero übernommen, die am 26. September 2014 entführt wurden und seither als verschwunden gelten, sowie der Studenten, die ermordet und verletzt wurden. In dieser Nacht waren Polizeikräfte verschiedener Verbände und Ebenen in geheimer Absprache mit dem organisierten Verbrechen beteiligt.

Die Arbeit in einem Team wie dem des Centro Prodh zur Verteidigung der Menschenrechte in Mexiko hat es mir möglich gemacht, meine Werkzeuge jenen Menschen zur Verfügung stellen, die am eigenen Leibe Gewalt erfahren, von den Behörden im Stich gelassen werden und ihrem Missbrauch ausgeliefert sind, aber auch den Menschen, die mit ihrem Weg zu einer Hoffnung für die Resilienz und den Aufbau eines gerechteren und gleichberechtigteren Landes werden. Die Würde der Menschen, die wir begleiten, ist unser Motor.

 

Worin besteht der Kampf für Gerechtigkeit im Fall der Studenten von Ayotzinapa und wie ist die aktuelle Situation?

Seit jener tragischen Nacht des 26. September 2014 fordern die Familien der verschwundenen Studenten Wahrheit und Gerechtigkeit. In erster Linie geht es darum, den Verbleib der Studenten in Erfahrung zu bringen. Dazu kommt die Forderung nach der Klärung der verschiedenen Zuständigkeiten. Auch wenn es schon mehrere Versuche gab, die Ermittlung zu schließen, werden die Familien so lange weiter kämpfen, bis der Verbleib der Studenten aufgeklärt ist.

In dieser Hinsicht kommt der internationalen technischen Unterstützung eine tragende Rolle zu, beispielsweise durch die Interdisziplinäre Gruppe Unabhängiger Experten (Grupo de Interdisciplinario de Expertos Independientes, GIEI) der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (IAKMR) und das Büro der UNO in Mexiko - und natürlich auch der nationalen und internationalen Solidarität.

Der Beharrlichkeit der Familien ist es zu verdanken, dass mittlerweile eine Präsidialkommission für Wahrheit und Gerechtigkeit ins Leben gerufen wurde, die das Vorgehen der Behörden bei der Weiterbetreibung des Falls koordiniert. Zudem werden die Untersuchungen nun von einer spezialisierten Staatsanwaltschaft vorangetrieben, die zu diesem Zweck gegründet wurde.

In diesem Zusammenhang werden weiterhin Anschuldigungen gegenüber Angehörigen verschiedener Sicherheitskräfte erhoben - und außerdem gegenüber Beamten, die mit den Ermittlungen beauftragt waren und denen verschiedene Unregelmäßigkeiten vorgeworfen werden. Zudem ist es vor einiger Zeit gelungen, die menschlichen Überreste von zwei der verschwundenen Studenten zu identifizieren. Das zeigt, wie wichtig es ist, die Suche fortzuführen. Die Familien wollen nach wie vor erfahren, wo ihre Angehörigen sind - ebenso wie die der mehr als 80.000 Verschwundenen, die in Mexiko offiziell anerkannt sind.

 

Du bist anlässlich des Hecker & Koch-Prozesses gemeinsam mit Leonel Gutiérrez nach Deutschland gereist, um den Fall Ayotzinapa hier zu repräsentieren. Aldo, der Bruder von Leonel, wurde in der Nacht des 26. September 2014 von einer Kugel der Polizei getroffen und liegt seither im Koma. Die Polizei von Iguala war auch mit G 36 ausgerüstet, obwohl diese nie in den Bundesstaat Guerrero hätten gelangen dürfen. Wie konntet ihr den Prozess in Deutschland für eure Arbeit in Mexiko nutzen?

Dank der Informationen aus der Akte über den Fall in Mexiko erfuhren wir, dass in jener Nacht Waffen des Unternehmens Heckler & Koch zum Einsatz gekommen waren, mit denen die Polizei von Iguala in Guerrero ausgerüstet war - einem der Bundesstaaten, in den das Unternehmen keine Waffen exportieren durfte. Ballistische und chemische Untersuchungen haben bestätigt, dass die Schüsse in einem der Schauplätze, in dem eine Gruppe von Studenten verschwunden und Aldo Gutierrez Solano durch einen Kopfschuss verletzt wurde, aus diesen Waffen abgegeben wurden.

Als wir erfuhren, dass dank der Bemühungen der deutschen Organisationen ein Verfahren wegen illegaler Exporte in Stuttgart eingeleitet wurde, beantragten wir deshalb, das Gericht möge die Familie Gutiérrez Solano als Opfer im Prozess anerkennen. Das hätte uns Zugang zu Informationen in Verbindung mit dem illegalen Waffenhandel zwischen dem Unternehmen und dem mexikanischen Verteidigungsministerium (Secretaría de la Defensa Nacional, SEDENA) verschafft - jener Behörde, die in Mexiko für den Einkauf von Waffen und ihre anschließende Verteilung zuständig ist.

Außerdem bestand Hoffnung auf eine Entschädigung seitens des Unternehmens für die Familie von Aldo, die sich seit dem Tag der Ereignisse bis heute um seine Gesundheit bemüht und ihn pflegt - mit der Prognose, dass er auch weiterhin im Koma liegen wird. Leider entschied das Gericht, dass Aldo nicht als Opfer anerkannt werden könne, da es in dem Prozess lediglich um die Verantwortung des Unternehmens für das Inverkehrbringen der Waffen gehen sollte und nicht um ihren Einsatz durch die Empfänger.

Dennoch beschlossen wir, mit Leonel, Aldos Bruder, nach Deutschland zu reisen. Leonel hat Aldo in all diesen Jahren gepflegt und in seinem Namen Gerechtigkeit gefordert. Wir konnten bei einer der Anhörungen des Gerichts dabei sein und nahmen ein Foto von Aldo mit, um es in den wenigen Sekunden, in denen es uns möglich war, sowohl den Richtern als auch dem Unternehmen zu zeigen, damit sie das Gesicht des Menschen sehen konnten, den eine der Kugeln getroffen hat.

Trotz der Verurteilung des deutschen Unternehmens gab es in Mexiko in dieser Hinsicht bislang keinerlei Untersuchungen, obwohl in dem Verfahren in Deutschland Hinweise auf die mögliche Korruption von Funktionären des SEDENA ans Licht kamen. Die Aufklärung dieser Verantwortung ist einer der Punkte, die im Fall Ayotzinapa nach wie vor offen sind.

 

Welche Verantwortung siehst du bei Heckler & Koch für die Folgen der Waffenexporte nach Mexiko?

Der Fall von Aldo zeigt, wie wichtig es ist, sichtbar zu machen, welche Folgen der illegale Waffenhandel jenseits des offiziellen Kaufgeschäfts hat: zu wissen und zu kontrollieren, was mit dem Endverbleib der Waffen geschieht und in welchem Kontext sie eingesetzt werden, und die Gesichter und Geschichten der Menschen zu zeigen, auf die damit geschossen wird. Die Unternehmen müssen besser kontrolliert werden und Verantwortung für die laxen Rahmenbedingungen bei ihren Waffengeschäften übernehmen, bei denen es ihnen ausschließlich um ihren finanziellen Nutzen geht.

Deshalb müssen sowohl das Unternehmen insgesamt als auch die beteiligten Beschäftigten bzw. jene Führungskräfte, die über dieses Konzept Bescheid gewusst haben müssten, bestraft werden. Auch in Mexiko müssen Kontrollen über die Einfuhr von Waffen in das Land, über ihren Einsatz durch Polizisten, die mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten, und über die Demonstration und Anwendung von Gewalt etabliert werden, was den Einsatz von so tödlichen Waffen wie diesen einschließt, die gegen Studenten abgefeuert wurden.

Der Gewaltkontext in jenen mexikanischen Bundesstaaten, die zu einer Überwachung kaum in der Lage sind und in denen korrupte Absprachen an der Tagesordnung stehen, darf kein Nährboden für den Waffenhandel sein.

 

Wir haben zuletzt vor allem über illegale Kleinwaffenexporte nach Mexiko und die Verbindung zum Fall Ayotzinapa berichtet. Welches andere Bild über Mexiko kannst oder möchtest du mit uns teilen?

Ohne jeden Zweifel ist Mexiko ein Land, das in einer Krise steckt, die sich durch Menschenrechtsverletzungen charakterisiert. Ein wichtiger Aspekt davon ist das Verschwindenlassen, das in völliger Straflosigkeit geschieht. Diese Krise hat sich seit dem sogenannten "Krieg gegen den Drogenhandel" weiter intensiviert: Die Gewalt hat sich verschärft, das Militär wird zunehmend für Sicherheitsaufgaben eingesetzt und in vielen Landesteilen arbeiten Sicherheitskräfte mit dem organisierten Verbrechen Hand in Hand.

Aber Mexiko ist auch das Land der Würde der Mütter, Väter und Schwestern, die ihre Angehörigen suchen, die aus Liebe auf die Straße gehen und in die Berge ziehen, um ihre geliebten Menschen zu finden, und in dem sich Kollektive zusammenschließen, um gemeinsam zu suchen. Ein resilientes Land, das die Abwesenden voller Schmerz benennt, aber zugleich lautstark Gerechtigkeit einfordert.


Aus dem Spanischen übersetzt von Katja Rameil

 


 

Online-Diskussion mit Rechtsanwalt Holger Rothbauer und Anwältin Sofía de Robina

Donnerstag 29. Juli 2021, 21:00 Uhr MESZ

mit

Holger Rothbauer, Anwalt in den Gerichtsprozessen zu "Heckler & Koch" und "Sig Sauer"

Sofía de Robina, "Miguel Agostín Pro Juárez Human Rights Center"

Estefania Vela Barba, "Intersecta - Organization for Equality"

Daniel Mata, "Mexican Commission for the Defense and Promotion of Human Rights"


Die Diskussion findet in englischer und spanischer Sprache statt.

 

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Informationen zum Gerichtsurteil:

BGH bestätigt Urteil zu illegalen Exporten von "Heckler & Koch"


Zum Thema "Verschwindenlassen":

Hintergründe und Meldungen der "Menschenrechtskoordination Mexiko"

 

Mehr über Waffenexporte nach Mexiko in unserer Studie:

"Deadly Trade" - Internationale Studie zu Waffenexporten nach Mexiko

kompakt "Was Sie über Kleinwaffenexporte wissen sollten"

kompakt: Was Sie über Kleinwaffenexporte wissen sollten [PDF-Download, 2 Seiten]

In Mexiko herrscht ein blutiger Drogenkrieg. Die Polizei ist in einigen Regionen von organisierter Kriminalität unterwandert. Weltweite Beachtung fanden 43 Studenten, die der Praxis des "Verschwindenlassens" zum Opfer fielen. Deutsche Waffen von "Heckler & Koch" und "Sig Sauer" tauchen immer wieder in Mexiko auf - auch dort, wo sie nie sein durften.

Auf unserer Themenseite finden Sie alle aktuellen Nachrichten zu deutschen Rüstungsexporten nach Mexiko.

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